Ein Bündnis für die Querfront – Eine Recherche zum Marburger Bündnis “Nein zum Krieg”

Am 10. April 2023 veranstaltet das Bündnis „Nein zum Krieg“ das alljährliche Friedensfest mit Osterspaziergang, um ein Zeichen für Frieden und gegen Krieg zu setzen. Wir nehmen dies zum Anlass, einen genauen Blick auf die Verbindungen zwischen der lokalen Friedensbewegung und verschwörungsideologischer Strukturen zu nehmen, die uns mehr als offensichtlich erscheinen.

 

Uns geht es nicht darum, sinnvolle und zumindest aus linker Perspektive debattierbare Forderungen gegen Krieg und Waffenauslieferungen zu diskreditieren. Unsere Kritik setzt aber dort an, wo aus Opfern Täter gemacht werden, wo ein Bündnis es zulässt, dass auch verschwörungsideologische Personen mitmachen können und wo nationalistische, antisemitische und queerfeindliche Personen wie Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und Dieter Dehm hofiert und eingeladen werden.

Es ist nicht verwunderlich, dass es zu einer Kooperation zwischen Teilen der Friedensbewegung und der verschwörungsideologischen Szene gekommen ist. Nachdem die bundesweiten großen Corona-Demonstrationen aufgrund der geringen Teilnehmer*innenzahl und Spaltungen zum Erliegen gekommen sind, mussten sich die verschwörungsideologischen Strukturen neu orientieren, um nicht in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine scheint dabei eine perfekte Gelegenheit zu sein, um sich aktiver mit der Friedensbewegung zu beschäftigen. Das ist im Hinblick auf die „Mahnwachen für den Frieden“, die im Kontext der Ukraine-Krise 2014 entstanden sind, nicht überraschend. Viele dieser Mahnwachen blieben dem Motto „weder links, noch rechts – Hauptsache für den Frieden“ treu und ermöglichten dadurch eine Offenheit für Antisemitismus und Verschwörungsideologien. So ist bekannt, dass genau in dieser Zeit antisemitische Protagonist*innen und „Influencer*innen“ wie Ken Jebsen an Popularität gewannen. Diese Kontinuität der Offenheit zum Antisemitismus bleibt bis heute bestehen, auch in Marburg.

Die Marburger verschwörungsideologische Szene und ihre Überschneidungen zur Marburger Linken

In Marburg besteht ein Großteil der verschwörungsideologischen Bubble aus Personen, die sich selbst als alternativ oder links, wenn auch nicht „woke“, zuordnen. Schon früh fingen die Protagonist*innen an, sich untereinander zu vernetzen. Eine klare Abgrenzung zu explizit rechten Akteur*innen geschah in der Vergangenheit nur im Nachgang von Antifa-Recherchen, wie am Beispiel „Manuel Mann“ festzumachen ist (1). Eine Abgrenzung der Gruppe „Studenten Stehen Auf Marburg“ mit dem Hauptprotagonisten Gabriel Schnizler hinsichtlich der Aktivistin der Identitären Bewegung Carolina Mehrkens geschah bisher nicht (2).

Nicht unbedeutend sind Personen der „Marburger Linken“ – ein Zusammenschluss der Partei „Die Linke“ und der „DKP“. Insbesondere die Kreistagsfraktion „Die Linke Marburg-Biedenkopf“ fällt hierbei auf. In einem offenen Brief der verschwörungsideologischen „Freien Linken“ mit dem Titel „Nicht überall, wo links draufsteht, ist links drin“ (3) vom 11. März 2021 sind folgende Personen als Unterzeichner*innen aus Marburg aufgelistet:

  • Anja Kerstin Lercher (Die Linke)
  • Hermann Ploppa
  • Martin Gronau (ehemals „Die Linke“, mittlerweile die „Populäre Freie Linke“ (4))
  • Christian Bubel (Die Linke)
  • Hajo Zeller (Die Linke)
  • Kati Hasselmann (Verein Vision Freiheit e.V.)

Teile dieser Personen beteiligten sich aktiv an den verschwörungsideologischen Demonstrationen, organisierten diese und bauten eigenständige Strukturen wie die „Populäre Freie Linke“ und „Vision Freiheit e.V.“ auf. Inwieweit die hier aufgelisteten Personen noch Teil der Partei „Die Linke“ sind, ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch ungewiss.

Das Marburger Bündnis „Nein zum Krieg“

Das Marburger Bündnis „Nein zum Krieg“ existiert schon seit einer sehr langen Zeit und besteht nach Eigenaussage aus „Einzelpersonen sowie Vertreter_innen aus Gewerkschaften, Parteien, Universitätsgremien und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen“ (5).

Nachweisbar ist, dass auch Personen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum Teil des Bündnisses sind. Auch bekannt ist, dass Personen wie Frank Michler (Weiterdenken Marburg) ein gern gesehener Gast bei Bündnistreffen und Veranstaltungen ist. Offiziell nach außen soll dieses Bild aber nicht vermittelt werden. So finden sich keine gemeinsam geschriebenen Aufrufe mit den jeweiligen Gruppen des Bündnis “Nein zum Krieg” und der verschwörungsideologischen Szene (Weiterdenken Marburg, Freie Linke, Studenten Stehen Auf, die Basis, Verein Vision Freiheit e.V.) Wir glauben aber nicht, dass es ein Zufall ist, sondern gewünscht oder erlaubt, dass Frank Michler Veranstaltungen wie Vorträge und Demonstrationen der Marburger Linken und des Bündnis „Nein zum Krieg“ filmt und anschließend auf dem Youtube Kanal von Weiterdenken Marburg hochlädt und verbreitet (6).

Nachfolgend eine unvollständige Aufzählung der Youtube Videos:

Veranstaltungen des Bündnis „Nein zum Krieg“

  • Ostermarsch am 18.04.22: Wer Frieden will, liefert keine Waffen!
  • Vortrag „Frieden mit Russland“ mit Gabriele Krone-Schmalz vom 04.07.22
  • Eugen Drewermann in Marburg vom 04.09.22
  • Singen gegen den Krieg mit Beate Lambert bei der wöchentlichen Mahnwache „Verhandeln statt schießen“ vom 04.02.23

Veranstaltungen von der Kreistagsfraktion „Die Linke Marburg-Biedenkopf“

  • Buchvorstellung „Ein willkommener Krieg? – Nato, Russland und die Ukraine“ mit Wolfgang Gehrke und Christiane Reymann vom 03.11.22. Eine Veranstaltung organisiert von „DKP Kreis Marburg-Biedenkopf“, Kommunistische Plattform der Partei Die Linke und Kreistagsfraktion „Die Linke Marburg Biedenkopf“
  • Vortrag „Geopolitische Hintergründe des Ukraine Kriegs“ mit Jürgen Rose vom 24.11.22. Eine Veranstaltung organisiert von der Kreistagsfraktion „Die Linke Marburg-Biedenkopf“

Alle Veranstaltungen haben in ihrer Kernbotschaft eines gemeinsam: Die Verharmlosung des russischen Angriffskriegs. Oft finden sich bei den genannten Veranstaltungen Täter-Opfer Umkehr Argumentationen wieder. Diese Schnittmenge, neben einem fehlenden Verständnis von Antisemitismus und Nationalismus, ermöglicht unter anderem die Zusammenarbeit zwischen verschwörungsideologischen Strukturen und autoritären Putin-Linken. So ist es nicht verwunderlich, dass Frank Michler, der 2020 schon eine „Black Lives Matter“ Kundgebung in Marburg störte (7), am 25.02.23 eine Ukrainesolidarische Kundgebung mit dem Singen von John Lennons Song „Imagine“ provozierte (8).

Das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Friedens-Bündnis und verschwörungsideologischer Gruppierungen scheint beidseitig zu sein.

So werden regelmäßig Veranstaltungen des Bündnis „Nein zum Krieg“ durch Weiterdenken Marburg beworben.

Oder man lädt sich gegenseitig auf den Veranstaltungen ein:

Es müsste nun offensichtlich sein, dass der Schulterschluss kein Zufall ist, sondern gewollt oder zumindest gebilligt wird.

Auf der Webseite des Bündnis „Nein zum Krieg“ wird das „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht prominent beworben (9). Vieles muss wahrscheinlich zu beiden Personen nicht gesagt werden. Kritische Texte zu ihrer Queerfeindlichkeit (insbesondere Transfeindlichkeit), ihrem Antisemitismus, ihrem Nationalismus und ihrer Russlandaffinität findet sich zuhauf.

Ideologischer Überschneidungpunkt ist die Transfeindlichkeit. Gabriel Schnizler (Studenten Stehen Auf Marburg) ist beispielsweise nicht nur einmal damit aufgefallen.

Dieter Dehm – Die Querfront in Person

Anhand der Einladung von Dieter Dehm alleine lässt sich vieles aus dem Bündnis ablesen.

Dieter Dehm: Musikproduzent, bekanntes Mitglied der Partei „Die Linke“ hat schon einige Skandale hinter sich. Der Blog „GenFm“ hat 2014 folgendes zu seiner Person geschrieben, den wir hier aufgrund der Aktualität umfassend zitieren (10):

Diether Dehm (DIE LINKE) ist ob seiner verschwörungstheoretischen Äußerungen und Solidarisierungen mit den sog. Montagsmahnwachen nicht unumstritten. In der Kritik steht er auch wegen eines Interviews welches in Jürgen Elsässers rechtspopulistischem Compact-Magazin publiziert wurde und seiner Unterstützung der umstrittenen Verschwörungstheoriecombo „Die Bandbreite“.

Am 12. Juni schrieb Dehm auf seinem Blog bezüglich eines Beschlusses des Berliner Landesvorstandes der Linkspartei im Hinblick auf die Montagsmahnwachen:

»Auf die ahistorische Worthülse „Querfront“, die ja nur die Grenze zum wirklichen Faschismus via Allerwelts-Willkür verwischt und auf Lederers neuerlichen Verharmlosungsanlauf des echten Rassismus mit seiner Wortneuschöpfung „Querfrontmilieu“ […], gehe ich demnächst ausführlicher ein.«

In einem weiteren Text bezüglich der Montagsmahnwachen schrieb er einen weiteren und für einen Linken höchst bemerkenswerten Satz:

»Die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ waren seit jeher Krücken, denn sie rühren aus einer uralten Sitzordnung im Abgeordnetenhaus.«

Der Begriff „ahistorische Worthülse“ ist in diesem Kontext schon interessant. Rechtsextreme Bündnisstrategien, die Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Lagern betonen oder konstruieren, gab und gibt es in Deutschland, Russland und vielen anderen Ländern. Von einer „ahistorische Worthülse“ kann also keine Rede sein. In den 20er Jahren bereits haben Leute wie Arthur Moeller van den Bruck völkische Konzepte, wie das der „Volksgemeinschaft“, auf dessen Basis es keine „Linken“ und „Rechten“ mehr geben sollte, sondern lediglich eine Front der „deutschen Volksgenossen“ propagiert. Was war das Resultat dieser Öffnung nach Rechts? Nicht zuletzt war das auch einer der Gründe, warum die Nationalsozialisten gesamtgesellschaftlich fruchtbaren Boden ausbauen konnten. In den späten 60er und frühen 70er Jahren dann bildete die nationalrevolutionäre Bewegung quasi das rechtsextreme Pendant zur neuen Linken der 68er. Diese Neue Rechte der 60er Jahre suchte nach alternativen Mitteln und Wegen um gesamtgesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen und versuchte Kontakte und Kooperationen mit linken Kreisen zu etablieren. Somit bereitete die nationalrevolutionäre Bewegung quasi ideologisch die Grundlage der Neuen Rechten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nach diesem kleinen historischen Exkurs zurück zu Diether Dehm und den Mahnwachen. Inzwischen hat sich eine Landesarbeitsgemeinschaft Antifa DIE LINKE Niedersachen nach einer Diskussion mit Dehm für eine Öffnung der Linken für die Montagsmahnwachen ausgesprochen. In dieser Fünf-Punkte-Erklärung heißt es dazu wörtlich: „Ganz anders verhält es sich mit Rechtspopulisten und ähnlichen Verwirrern und Verwirrten. Nicht jedes Vorurteil macht einen Faschisten aus“. Rechtspopulisten, „Reichsbürger“ und Antisemiten werden als „Verwirrte“ verharmlost, mit denen man ruhig zusammen auf die Straße gehen könne, denn es würde sich ja schließlich nicht um Faschisten handeln. Faschistoide Einstellungen soll man nach dieser Logik tolerieren, solange sie nicht von springerstiefeltragenden Glatzen vertreten werden. Eigentlich sollten gerade Linke nicht erst seit der Diskussion um die mittlerweile abgeschaffte Extremismusklausel gelernt haben: Die eigentliche Bedrohung für die Demokratie kommt keineswegs von den „Rändern“ der Gesellschaft – eben nicht von den „Extremisten“. Man muss kein Sozialwissenschaftler sein um zu erkennen, dass dies ein Trugschluss ist, denn die Gefahr droht aus der Mitte selbst, in der rechtsextreme Einstellungen, autoritäre Phantasien und mangelndes demokratisches Bewusstsein weit verbreitet sind und geduldet werden. Dass dieser „Extremismus der Mitte“ die eigentliche Gefahr darstellt, sollte spätestens durch die historischen Erfahrungen der nationalsozialistischen Machtergreifung ins Bewusstsein aufgeklärter Menschen vorgedrungen sein. Siehe dazu auch die Ergebnisse der alle zwei Jahre erscheinenden Studie „Die Mitte im Umbruch“. Der Slogan der Nachkriegszeit „Wehret den Anfängen!“ scheint auch bei einigen Linken immer mehr aus dem Bewusstsein zu verschwinden. Weiter heißt es in der Fünf-Punkte-Erklärung: „Die Linke und die traditionelle Friedensbewegung werden aber durch Montagsmahnwachen und die Stärke der AfD auch an ihre eigenen Schwächen in Aufklärung und Mobilisierung erinnert – und daran, wie wenig Wirkungsvolles gegen Eurokrisen-Profiteure, Krieg in Gaza und in der Ukraine von links bislang geschehen ist“.

Im Jahre 2009 hat Diether Dehm während einer Rede in Kassel einen weiteren höchst fragwürdigen Kommentar geäußert. Dort sagte er: »Der Antisemitismus wurde das, was er wirklich ist: Eine massenmordende Bestie. Und deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass man den Begriff des Antisemitismus für Alles und Jeden inflationiert. Antisemitismus, das ist Massenmord! Und es gibt überhaupt keinen Anlass, wenn mein Kollege und Freund Rolf Becker hier spricht, wenn von irgendeiner Seite dazwischengepöbelt wird Antisemitismus. Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben!«.

Für Diether Dehm gibt es anscheinend keinen Antisemitismus, solange nicht die Schornsteine der Vernichtungslager rauchen. Es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung!”

Leider enden die Skandale rund um Dieter Dehm nicht mit 2014. Vielmehr steigerte sich Dehm in den Jahren der Pandemie.

Hier eine kleine Auswahl:

  • Dieter Dehm singt einen verschwörungsideologischen Song mit Texten wie „Ein junger Virus plus uralte Mächte. Ja, dieser Mix macht geil auf unsre Rechte. Als ob je ‚Schnauze halten‘ etwas brächte.“ Oder im Refrain schmettert er: „Worauf reimt sich Covid? Auf jeden Fall auf Profit“ (11).
  • Dieter Dehm, Gegner von „Cancel Culture“, „political correctness“, Gendern und offensichtlicher Rassist und Sexist, verklagte Florian Silbereisen, weil dieser das Lied „1000 und 1 Nacht“ ohne das Wort “Indianer” gesungen hat (12).
  • Dieter Dehm gibt für die Märzausgabe 2023 des rechtsextremen Compact Magazins ein Interview zu den Querfront-Vorwürfen (13).
  • In einem Interview mit dem Putinfreundlichen und verschwörungsideologischen Kanal InfraRot leugnet Dehm das Butscha Massaker in der Ukraine (14).

 

Das Originalvideo mit dem Titel „BND-Arbeitsgruppe Sahra Wagenknecht mit mindestens sechs Leuten“ (15) sollte eigentlich genug sein, um jemanden wie Dieter Dehm auszuladen. Ein paar Best-Of-Worst Zitate aus dem Interview:

  • „ (…) dem obersten CIA Organ der Republik TAZ und dem zweit obersten dem Spiegel Interviews gegeben. Warum sollte ich nicht auch Medien Interviews geben, die möglicherweise rechts von mir stehen. Es stehen sowieso fast alle rechts von mir“
  • „Die neue Rechte sind die Grünen. Nach diesem Koordinaten System sollte man sich richten. Wer heute nationale Bezüge hat oder den Nationalstaat nicht verfallen lassen möchte, ist nicht deswegen rechts. (…) Und wer das nicht als rechts erkennt. Diesen Neoliberalismus, Jeff Bezos, Amazon, Soros, viele andere die darauf spekulieren, auch Bill Gates, der in einigen Spekulationen schon ertappt wurde. Rheinmetall, Lockhead, die Deutsche Bank – Wer die nicht als rechts erkennt, sondern meint, weil jemand für den Nationalstaat ist oder jemand wie ich gerne ein bayrisches Trachtenjankel trägt, sei man rechts. Der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden“
  • „Man versucht das Wort Lügenpresse zu verbieten. Sagt, dass darf nicht mehr gesagt werden: Unsere Presse ist keine Lügenpresse! Wir sind die Presse! Aufrecht und klar! Auf deutschem Boden! So differenziert. Man erinnert sich. Die Sprache kennst du doch irgendwoher? Ist die nicht schon in der Wochenschau gewesen? (Kommentar InfraRot: Sportpalast!)“
  • „Also es ist natürlich so schwer in Deutschland. In einem imperialistischen Kernland, was die NATO bis in die Redaktion hinein mit CIA beherrscht.“
  • „Zur Zerstörung des guten Rufs von Sahra Wagenknecht gibt es im Bundesnachrichtendienst der Chausseestraße mindestens eine Arbeitsgruppe von sechs Leuten. Und die trifft sich zweimal in der Woche und redet darüber, wie kann man dieser Frau den Ruf zerstören und berät darüber.“

All diese aufgeführten Skandale führten dazu, dass ein Parteiausschlussantrag gestellt wurde, der aber von der Landeskommission der Linken in Niedersachsen abgelehnt wurde (16).

Kein Bock auf Querfront

Als Fazit bleibt festzuhalten: Das Bündnis „Nein zum Krieg“ scheint sich zu einem Querfrontbündnis zu entwickeln. Es gibt keine Abgrenzung zu Antisemitismus, Verschwörungsideologien und Queerfeindlichkeit. In vielen Fällen, wenn auch nicht in allen, wird der russische Angriffskrieg verharmlost bis gar verleugnet. Somit ist es auch nicht verwunderlich, wer vom Bündnis eingeladen wird und mit wem das Bündnis zusammenarbeitet.

Wir rufen alle dazu auf, sich vom Ostermarsch fernzuhalten.

Wir fordern die beteiligten Gruppen DGB Marburg, DGB Jugend Marburg, DFG-VK, ICAN, Kulturhorizonte Marburg e.V., Naturfreunde Marburg, SDAJ Marburg, DIDF-Jugend Marburg, Internationaler Jugendverein Marburg, AK Marburger Wissenschaftlerinnen für Friedens- und Abrüstungsforschung, Initiative „200 nach Marburg“ und Marburger Forum – Fördergemeinschaft Friedensarbeit dazu auf Stellung zu beziehen und sich zu distanzieren.

Wir fordern von der Marburger Linken eine Aufarbeitung und eine klare Abgrenzung.

Die Parole “Keine Zusammenarbeit mit der Querfront und keine Öffnung nach rechts” muss auch für die Friedensbewegung gelten!

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Nachtrag (08. April 2023)

  • Das Bündnis “Nein zum Krieg” erklärt über Mailkontakt, dass sie sich nicht mit der Kritik auseinandersetzen werden und sich somit einem Austausch verweigern. Zitat: “Wir reden grundsätzlich mit Menschen, die sich an uns wenden, aber nicht mit verdecktem Visier. Gespräche mit uns gehen nur in aller Offenheit.” (03.04.23)
  • Die DGB Jugend hat sich über Mailkontakt von dem Ostermarsch distanziert und ruft dazu nicht weiter auf (05.04.23)
  • Der SDS Marburg ruft in einem Posting vom 06.04 zur Teilnahme  am Ostermarsch in Marburg auf. Wir bewerten das als Solidarisierung mit dem Bündnis “Nein zum Krieg” und unsere Forderungen werden somit auch auf den SDS Marburg übertragen.
  • Dieter Dehm stellt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung für den DGB Vorstand Hessen-Thüringen und droht mit Strafanzeigen (06.04.23). Link: https://www.diether-dehm.de/positionen/dd-sprach-mit/1689-strafbewehrte-unterlassungserklaerung-fuer-dgb-vorstand-hessen-thueringen
  • Der Kreisvorstand “Die Linke Marburg-Biedenkopf” distanziert sich entschieden zum Marburger Ostermarsch und ruft stattdessen dazu auf nach Frankfurt zu fahren. (08.04.23) Link: https://www.die-linke-marburg.de/start/nachrichten/detail/stellungnahme-des-kreisvorstands-zum-marburger-ostermarsch/

1: https://stadtlandvolk.net/?p=468

2: https://stadtlandvolk.net/?p=791

3: https://freier-funke.de/nicht-ueberall-wo-links-draufsteht-ist-links-drin

4: https://populaere-freie-linke.de/

5: https://antikriegsbuendnismarburg.de/ueberuns

6: https://www.youtube.com/channel/UCQPTFjZA4gauQtFicvw-9Qg

7: https://keinfriedenmitantisemiten.noblogs.org/post/2020/06/10/die-weichen-in-richtung-querfront-scheinen-endgultig-gestellt/

8: https://weiterdenken-marburg.de/2023/02/28/imagine-no-countries-slawa-ukrajini/

9: https://antikriegsbuendnismarburg.de/aufrufe-offene-briefe/manifest-fuer-frieden

10: https://genfmblog.wordpress.com/2014/10/22/diether-dehm-der-antisemitismus-und-die-querfront/

11: https://taz.de/Umstrittener-Song-von-Diether-Dehm/!5706949/

12: https://taz.de/Wagenknecht-Allianz/!5918190/

13: https://www.compact-online.de/diether-dehm-ueber-querfront-in-compact-3-2023/

14: https://www.focus.de/politik/deutschland/diether-dehm-linken-politiker-bezeichnet-butscha-massaker-als-fake_id_152874581.html

15: https://www.youtube.com/watch?v=V25jKEajr58

16: https://taz.de/Kein-Parteiauschluss-fuer-Diether-Dehm/!5921099/

 

 

 

 

 

 

Immernoch Kein Frieden mit Antisemiten! Teil 1: Analyse & Kritik

 

Die lokalen Demonstrationen, Kundgebungen von verschwörungsideologischen Strukturen und Einzelpersonen haben sich nicht aufgelöst und mobilisieren teilweise einige hundert Menschen alleine in Marburg. Die letzten Jahre der Pandemie haben bestätigt, dass das Mobilisierungspotenzial weiter besteht, auch wenn entspannte Sommermonate die Hoffnung schüren, dass es sich bei den Protesten um ein Gespenst der Vergangenheit handelt. Wir lassen euch weiterhin nicht alleine und greifen damit den Faden auf, den „Kein Frieden mit Antisemiten“ hinterlassen hat.

Im Jahr 2020 war die Mobilisierung maßgeblich durch die Gruppe Weiterdenken Marburg geprägt. Heutzutage sind andere Personenzusammenschlüsse und Strukturen prägender, um Antisemit:innen jeglicher Couleur auf die Straßen zu bringen. Vieles ist seitdem passiert. Die These, dass unter dem gemeinsamen Nenner der Coronaverharmlosung bis -leugnung der Schulterschluss mit organisierten Neonazis geschehen wird, hat sich seitdem mehrfach bestätigt.

Wir treten in die Fußstapfen, die „Kein Frieden mit Antisemiten“ hinterlassen hat und haben uns zusammengetan, um ihr Abschiedsversprechen zu erfüllen. Dieses lautete:

Denn ihr werdet weiterhin dauerhaft von uns beobachtet werden, wir werden immer noch zu euch recherchieren, eure Verschwörungsideologien und euren Antisemitismus aufdecken und euch euer Leben so schwer wie möglich zu machen. Deshalb werden wir z.B. weiter Texte zu euch und euren Machenschaften veröffentlichen. Sobald ihr wieder mehr und wirkmächtiger werdet, die Verbreitung von Verschwörungsideologien durch euch wieder zu heftig wird oder sich eine Querfront bildet, werden wir wieder jeden verdammten Samstag gegenüber von euch stehen und lautstark unseren Widerspruch geben“.

Wir lassen euch nicht aus den Augen. Es gilt: „Immernoch Kein Frieden mit Antisemiten!“

Grundsätzliches zur antisemitischen Mobilisierung

Der folgende Text möchte eine grundlegende Betrachtungsweise auf die verschwörungsideologischen Organisierungen ermöglichen. Ohne eine Analyse kann es unserer Meinung nach keine Kritik und auch keine Strategie geben. Auch möchten wir explizit dazu aufrufen, sich zu organisieren und dem antisemitischen Mob etwas entgegenzusetzen. Wir hoffen, dass unsere Ausführungen dazu beitragen können. Wir haben den vorliegenden Text kürzer gehalten, um einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen und freuen uns, wenn dieser über soziale Medien oder als Print-Version verbreitet wird. Am Ende werden wir auf ein paar weiterführende Links zu Texten verweisen.

Von antisemitischen Hippies, Bauchlinken, Nazis und neoliberalen Kleinbürgern

Auf den ersten Blick mag sich die Mischung der mittlerweile wöchentlichen Demonstrationen als verwirrend darstellen. Hippies, Esoteriker:innen, Personen aus der „bürgerlichen Mitte“, abgedriftete Linke bis hin zu organisierten Nazis marschieren Hand in Hand durch die Straßen. Der Altersdurchschnitt liegt zumindest in Marburg eher im höheren Bereich. Wie konnte es dazu kommen und woher kommen diese Leute?

 

Große Teile dieser Personen stammen aus der bürgerlichen Mittelschicht, die im Angesicht der real existierenden wirtschaftlichen Pandemie-Krise Unsicherheit und Kontrollverlust verspüren. Der Alltag wurde unterbrochen und Teile von ihnen haben Angst ihren Status als Teil der Mittelschicht zu verlieren. Die Krise führte dazu, dass einfache Lösungen und Feindbilder gesucht wurden, um sich die Situation erklären können – ein Schauerbild, das von größeren Schauerbildern überzeichnet ist. Die Verbreitung des Internets führt hierbei zu einer Flut an Informationen. Neben den vielen positiven Aspekten, der Möglichkeit an Informationen zu kommen und sich weiterbilden zu können, sind auch einige nennenswerte negative Folgen teil des technologischen Fortschritts. Nämlich, dass reaktionäre Kanäle, insbesondere verschwörungstheoretische Webseiten und Pseudo-Journalist:innen, eine einfache Möglichkeit besitzen, Reichweite zu generieren und ihren antisemitischen Müll zu verbreiten. Aufgrund von Algorithmen von Webseiten wie YouTube verlieren sich die User:innen immer stärker in den verschwörungstheoretischen Abgründen des Internets. Auch die Vereinsamungstendenzen als Folge der Pandemie-Krise führen zu einer Radikalisierung antisemitischer Denkmuster. Die nun missverstandene Schicksalsgemeinschaft der „Erleuchteten“, die die angebliche Wahrheit der Welt verstanden hat, muss zusammenrücken, da sie überall anders nur Feinde und „Schafe“ wittern. Der verschwörungstheoretische Sumpf findet sich nicht nur in den Köpfen wieder, sondern ersetzt das eigene Umfeld: Sei es innerhalb von Familien oder Freundschaften. Verschwörungstheorien führen zu geschlossenen Weltbildern, die das ganze Leben bestimmen.

Geprägt durch antisemitische Narrative wird versucht, sich über einfache Antworten auf komplexe Zusammenhänge ein Bild des Zustandekommens der Krise zu machen: Warum gibt es Corona? Wer profitiert davon? Achja, Bill und Melinda Gates natürlich! Und die Pharmakonzerne! Und die Rothschilds! Und warum das Ganze? Um uns zu kontrollieren und zu manipulieren! Das Ende dieser reaktionären, vermeintlich antikapitalistischen Kette sind dann verschwörungsidelogische Erzählungen wie QAnon oder die einer „One World Order“ und einem in Gewalt mündenden Widerstand gegen eine vermeintliche Diktatur.

Über Antisemitismus und Antimodernismus

Dass im Zuge der globalen Corona-Pandemie antisemitische Verschwörungstheorien Verbreitung finden würden, war mit einem Blick in die Geschichte leider zu erwarten. Schon im Mittelalter haben die Menschen auf Krankheiten mit Antisemitismus reagiert und haben ihre jüdischen Nachbar:innen umgebracht. Auch wenn heute zum Glück keine Pogrome stattfinden, fällt es einigen Menschen offensichtlich schwer zu verstehen, dass Pandemien leider vorkommen und die Menschheit nicht alles steuern kann.

In diesem Abschnitt geht es nicht um die Inhalte der vorgetragenen Verschwörungstheorien und ihrer Nähe zu alten antisemitischen Mythen, so wie beispielsweise QAnon eine in Teilen modernisierte Fassung der Ritualmord-Legende darstellt. Es soll sich vielmehr darauf konzentriert werden, was denn nun Verschwörungstheorien mit Antisemitismus zu tun haben. Verschwörungstheorien kommen in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Inhalten vor, doch es gibt bestimmte Grundstrukturen, die sich die verschiedenen Erzählungen teilen.

Zum einen lassen sich in Verschwörungstheorien drei Gruppen von Akteur:innen ausmachen. Es gibt die absolut böse Gruppe der Verschwörer, die mit ultimativer Macht ausgestattet ist. Deren Gegenspieler:innen sind die Erwachten, die erkannt haben was „in Wahrheit“ passiert. Die größte Gruppe bilden die noch unwissenden Schlafschafe, die noch nicht von der unermesslichen Weisheit der Verschwörungstheoretiker:innen überzeugt werden konnten. Alleine diese Aufstellung der Gruppen macht zwei weitere Aspekte deutlich: Zum einen wird bei Verschwörungstheorien mit einer dichotomen Einteilung in Gut und Böse gearbeitet, was jede Komplexität der realen Welt ausklammert und spätestens im Kindesalter abgelegt werden sollte. Zweitens wird deutlich, dass narzisstische Überhöhungen durch den Glauben an Verschwörungstheorien ohne Probleme produziert werden können. Die selbsternannten Erwachten haben nach ihrer Logik DIE Wahrheit erkannt und sind damit ihren Mitmenschen absolut überlegen. Schon an diesem Punkt hört jede Verschwörungstheorie auf, Sinn zu ergeben, denn warum sollten die allmächtigen und alle täuschenden Superverschwörer bei jemandem wie Frank Michler an ihre Grenzen kommen? Das macht nur in Franks eigenen Allmachtsfantasien Sinn, die er auf die Gruppe der ausgemachten Verschwörer überträgt.

Wir verwenden in diesem Text bewusst den Begriff der Verschwörungstheorien, da es sich um aufgestellte Theorien handelt und zur Differenzierung zwischen Verschwörungstheorien und wissenschaftlichen Theorien ein genauer Blick nötig ist.

Ein weiterer Aspekt, den Verschwörungstheorien gemeinsam haben, ist die Auslöschung von Zufällen und nicht-intendierten Handlungsausgängen. Es gibt leider, oder zum Glück, viele Dinge, die einfach passieren – auch ohne, dass es jemand so wollte. Menschen können nicht alles kontrollieren und niemand ist allwissend. Gerade bei Ereignissen, wie einer weltweiten Pandemie, kann die Vorstellung, es müsse sich dabei um ein geplantes Ereignis handeln, immer noch weniger angsteinflößend sein, als sich die Unzulänglichkeiten und die Verletzlichkeit von Menschen einzugestehen. Durch die Gruppe der Verschwörer:innen kann alles Negative, das weltweit, aber auch im eigenen Leben passiert, ausgelagert werden. Plötzlich gibt es eine einfache Erklärung für alles: Die Verschwörer:innen waren es. Und um das alles bewerkstelligen zu können werden die Verschwörer:innen immer mächtiger und immer böser dahinfantasiert, was letztendlich in Vernichtungsfantasien endet. Zugleich wird man selbst zum vermeintlich immer größeren Opfer.

Doch was hat das mit Antisemitismus zu tun? Die Denkstruktur, die Verschwörungstheoretiker:innen an den Tag legen, ist die, die auch modernen Antisemitismus ausmacht. Jüdinnen und Juden wurden über die Geschichte hinweg ausgegrenzt und zugleich als übermächtig fantasiert. Das Böse wird in Jüdinnen und Juden personifiziert und aus sich selbst ausgeklammert. Was die Komplexität der moderne Welt auf ein „die Juden sind Schuld“ herunterbricht. Der Antisemitismus und seine Mythen sind so tief verwurzelt, dass die antisemitischen Bilder in den modernen Verschwörungstheorien früher oder später eingebaut werden, denn es sind bis heute wirkmächtige Bilder. Die Darbietung von den Protestierenden, nach denen sie selbst die Opfer seien, sind durch die Medien gegangen. Gelbe Sterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“ sollen vermitteln, dass die Aufforderung Masken zu tragen, mit der Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden gleichzusetzen sei. So tragen die Nachfahren der Täter ihren Hohn gegenüber den Opfern des Holocaust zur Schau. Doch auch dies gehört zum Antisemitismus. Auch die NS-Führung hat verkündet, die Deutschen seinen die Opfer und müssten deshalb alle Jüdinnen und Juden töten. Opfer zu sein ist das Narrativ von Antisemit:innen und die Rechtfertigung für die unvorstellbaren Gräueltaten, die Jüdinnen und Juden angetan wurden.

Regelmäßig werden auf den verschwörungsideologischen Demonstrationen Mordphantasien ausgesprochen. Mal geht es um Politiker:innen, Mal um bekannte reiche Persönlichkeiten, Mal um Antifaschist:innen. Aus Worten werden bekanntermaßen Taten. Wir gedenken an Alexander W., der am 18. September 2021 von einem Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner in Idar-Obstein ermordet wurde.

Gates Noch? Das System ist gemein, aber nicht geheim!

Eine antikapitalistische Analyse und Praxis würde dagegen eine materialistische Analyse der vergangenen und gegenwärtigen Verhältnisse betrachten und zu folgendem Schluss kommen: In einer Welt, in der die kapitalistische Wirtschaftsform weite Teile der Natur zerstört, werden die Übertragungen von Krankheitserregern wie SARS-CoV-2 von Tier zu Mensch zunehmen. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Lebensräume von Tieren zerstört werden und die physische Distanz zwischen wild lebenden Arten und Menschen verringert werden. Die steigende Ressourcenknappheit wird diese Tendenzen beschleunigen.

Der Kapitalismus, der notwendigerweise aufgrund der innewohnenden Profitlogik agiert, muss versuchen, sich sowohl Absatzmärkte (meist im globalen Norden), als auch billige Produktionsräume (im globalen Süden) zu erschaffen und aufrechtzuerhalten. Eine global agierende Wirtschaft mit genau nach Zeitvorgaben getakteten Handels- und Lieferketten ist notwendig, damit eine kapitalistische Ordnung erhalten bleiben kann. Um ein Beispiel zu nennen: Im März 2021 wurde der Suez Kanal durch das Schiff „Ever Given“ für sechs Tage blockiert. Circa 12% des weltweiten Handels führt durch diesen Kanal. Die Blockade führte umgerechnet zu einem Schadensverlust von umgerechnet 9,6 Billionen US-Dollar und einer monatelangen Knappheit von Ressourcen. Die beschriebenen globalen, vordergründig wirtschaftlichen Abhängigkeiten führen schlussendlich dazu, dass sich ein Krankheitserreger schnell und unaufhaltsam verbreiten kann.

In einer globalisierten Welt, in der die Menschheit sowohl aus Vergnügung und der Notwendigkeit über Landesgrenzen hinweg reisen muss, können sich hochansteckende Viren schneller verbreiten als noch vor Jahrhunderten.

Wenn also Nationalstaaten, die im Kapitalismus die Aufgabe haben, den Kapitalfluss zu schützen und teilweise zu organisieren, aufgrund der Pandemie zeitweise ihre Grenzen dichtmachen und Lockdowns beschließen, zeigt das, dass die Pandemie nicht „erfunden ist, um die Massen zu kontrollieren“, sondern eine reale Bedrohung darstellt.

Im Gegensatz zu einer bürgerlichen Analyse muss hierbei eine linksradikale Analyse nicht dem Staat zu Hilfe kommen und Staaten als „Organisation des Gemeinwohls betrachten“, sondern auch Kritik üben: Nämlich, dass die Kosten auf die Rücken der ärmeren Schichten übertragen werden, statt die Reichen, die während dieser Zeit noch reicher geworden sind, zu besteuern oder gar zu enteignen. Im Gegensatz zur verkürzten Kapitalismuskritik passiert dies nicht, weil die Reichen „boshaftig“ sind oder die Welt kontrollieren, sondern dies eine logische Folge des kapitalistischen Systems darstellt. Die medizinische Versorgung, wie Krankenhäuser und Altenheime, wurde aufgrund der Neoliberalisierung kaputt gespart und privatisiert, wodurch es sowohl an Personal als auch an notwendigem Equipment fehlt. Auch Regierungen nutzen Krisen, um autoritäre Maßnahmen zu vollziehen, indem Grenzen für Geflüchtete geschlossen werden und grundsätzlich eine nationalistische und autoritäre Politik gefahren wird. Die gesetzlichen Einschränkungen betreffen an erster Stelle den „privaten“ Raum (beispielsweise über unsinnige Ausgehverbote in der Nacht), statt Produktionsstätten und Schulen zu schließen. Für die Beendigung der globalen Pandemie braucht es allerdings eine globale Strategie. Impfpatente müssen ausgesetzt werden!

Kurz: Ein solidarischer Weg aus der Krise wäre grundsätzlich möglich, nur nicht in oder mit einem bürgerlichen, kapitalistisch agierenden Nationalstaat.

Das falsche Verständnis von Freiheit

Wenn Vertreter:innen der wöchentlichen verschwörungsideologischen Aufmärsche lauthals nach Freiheit rufen, nutzen sie einen Freiheitsbegriff, der in der Realität keiner ist. Es ist ein egoistisches Verständnis von Freiheit.

Die Neoliberalisierung der letzten Jahrzehnte hat diesen individuellen, egoistischen Freiheitsbegriff gefördert. Nach dieser Vorstellung gibt es keine Gesellschaft, kein Kollektiv mehr, sondern nur noch Individuen, die sich im existenziellen Konkurrenzkampf befinden, um zumindest einmal im Leben die vom Tisch auf dem Boden gefallene und nun verdreckte Sahne vom Kuchen ablecken zu können, statt sich radikal den Kuchen anzueignen und alle Menschen zu sättigen. Denn in ihrem Sinne bedeutet Freiheit die Rückbesinnung zu einer vorpandemischen Zeit, in der die kapitalistischen Verhältnisse den gewohnten Gang fahren können: Der vermeintlich zwanglose Konsum. Natürlich ist die individuelle Freiheit schützenswert, diese muss aber in Verhältnis zu der gesellschaftlichen Freiheit stehen.

Der radikale Teil der Verschwörungstheoretiker:innen redet mittlerweile in Chatgruppen darüber, dass sie weiter machen werden bis die Regierung gestürzt wird, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie wollen nicht mehr angebliche „Opfer“ sein, sondern auch Henker spielen. Die am Anfang beschriebenen Vereinzelungstendenzen sind real und in dessen Folge werden autoritäre und narzisstische Persönlichkeiten herausgebildet, die sich nach einem starken Kollektiv sehnen, meist in Form einer Führungspersönlichkeit, eines starken autoritären Staates, in Kombination mit einem Nationalismus und dem Hang zum Völkischen („Wir sind das Volk“). Das mag im Angesicht der Parole „Keine Diktatur“ konträr klingen, doch rational denkende Menschen wissen, was passieren würde, wenn solche Kräfte die Macht hätten.

Auch das sektenmäßige Nacheifern von verschwörungsidelogischen Influencern, die offensichtlich einen Hang zur Selbstdarstellung besitzen, bestätigt diese Herausbildung autoritärer Charaktere. Der sozialdarwinistische Ansatz, nachdem „der Stärkere gewinnt“, welcher sowohl in der neoliberalen als auch in der rechten Ideologie innewohnt, wird durch die kleinbürgerlichen Verschwörungsideolog:innen verinnerlicht und nach Außen getragen. Wie oft wird auf antisemitischen Zusammenkünften erwähnt, dass ja nur die Alten und Kranken daran größtenteils verrecken würden und dass ihnen egal sei.

Von Anti-Impfs und Schwurblern – Eine Kritik

Von bürgerlichen bis hin zu linksradikalen Kreisen wird das Nichtgeimpft-Sein als Gefahr betrachtet und den circa 15% der Ungeimpften die Schuld am Fortbestehen der Pandemie gegeben. Gleiches gilt auch in Bezug auf die verschwörungsideologische Mobilisierung, die abgekürzt als „Anti-Impfs“ oder verniedlicht als „Schwurbler“ bezeichnet werden. Aus Teilen der bürgerlich-liberalen Ecke kommen Sprüche wie „sind doch alles Idioten!“, „das sind harmlose Spinner“, „hahaha Aluhüte“ etc. Aussagen wie diese sind auf vielen Ebenen falsch und verschleiern das Problem und die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Grundsätzlich sollte eine radikale Analyse an erster Stelle die Verhältnisse betrachten, um diese kritisieren zu können und eine Praxis abzuleiten. Das bedeutet aus einem antikapitalistischen Verständnis heraus, das Pandemiemanagement von Staaten zu kritisieren, die halbherzig und verspätet auf die Pandemie reagierten und keine solidarischen Lösungen suchten. Warum sollte auch ein bürgerlicher Staat, der sich nun im Widerspruch des Kapitals befindet, einen emanzipatorischen Weg gehen? Nach jahrzehntelanger Privatisierung und dem Aufrechterhalten des Impfnationalismus, sieht es nun nach einer Durchseuchungsstrategie aus.

Um zum Anfang des Absatz zurückzukommen. Ja, es wäre gut, wenn sich so viele Menschen wie möglich impfen würden und das würde die Pandemie abdämpfen. Und doch würde es die Pandemie nicht beenden, solange nicht global die Möglichkeit besteht, dass sich alle impfwilligen Menschen auch impfen lassen können. In Deutschland und anderen westlichen Ländern ist die Möglichkeit einer Impfung gegeben, doch in vielen Ländern des globalen Südens ist dem nicht so. Solange dies nicht geschieht, werden weitere Mutationen entstehen, die auch Geimpfte impfizieren können (siehe Omikron-Variante). Auch werden durch Sprüche wie „Wir impfen euch Alle!“ oder „Durchgeimpfte Antifa“ das Problem verklärt: Nämlich der antisemitische Nährboden. Das Problem an der verschwörungsideologischen Bewegung ist nicht, ob diese geimpft ist oder nicht, sondern deren antisemitische Mobilisierung und die Folgen dieser. Unter anderem aufgrund der antisemitischen und esoterischen Denkmuster entsteht die Skepsis und die Ablehnung einer Impfung. Die Impfunwilligkeit ist ein Symptom. Die Wurzel liegt im Antimodernismus des Antisemitismus.

Und um noch eine Kritik einzubringen: Es bringt uns zum Kotzen, wenn unter anderem auf sozialen Medien die Rede davon ist, dass es sich bei der verschwörungsideologischen Szene um einen Bruchteil der Gesellschaft handelt und diese „nicht die Mehrheit, sondern die Minderheit sind“. No Shit Sherlock, ja und nun? Trotzdem muss sich mit dieser Minderheit auseinandergesetzt werden, da sie gefährlich ist. Aber schön, dass ihr euch mit solchen Sprüchen eure moralische, deutsche Integrität festigt, aber das bringt halt auch nichts und die Aussage ist dermaßen banal und verblödet, dass man sich mit dem Kopf gegen die Tischplatte hauen könnte.

Die Mobilisierbaren Deutschen Antisemit:innen

Die meisten Demonstrationen und Kundgebungen am Anfang von 2020 wurden eher aus dem esoterischen, linksbürgerlichen und verschwörungsideologischen Flügel der Gesellschaft organisiert. Bekannte verschwörungsideologische-Influencer wie Ken Jebsen, Attila Hildmann und Markus Haintz befeuerten das ekelhafte Treiben über ihre Medien. Recht schnell kam es zu einer Annährung mit der extremen Rechten: Von der AfD, dem Überbleibsel der Identitären Bewegung, Burschenschaften, Kameradschaftsnazis und Reichsbürgern. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wurde dies ermöglicht, da es keinerlei Abgrenzung zu Nazis gibt. Es wurde Wert gelegt auf leere Worthülsen wie „Toleranz, Gemeinsam, Diskussionsbereitschaft, Akzeptanz“. Nach dem Motto: „Es gibt keine Nazis bei uns, sondern nur gute Bürger, die sich gegen eine Diktatur auflehnen. Die wahren Nazis sind die Antifa und der Staat!“ Und wenn der bürgerliche Staat eine Diktatur sein sollte, dann ist nach deren Logik jeglicher Widerstand gegen die von ihnen deklarierten Feinde gerechtfertigt.

Verschwörungsdenken und generell Antisemitismus bietet den Nährboden für faschistische Ideologien. Zuweilen wird in Deutschland von einer Querfront geredet: Einer Zusammenarbeit zwischen „verfeindeten“ Lagern von „Links bis Rechts“. Wir halten wenig von dieser recht bürgerlichen sprachlichen Einteilung, da sie sich auf die Extremismus-Theorie bezieht und in den meisten Fällen wenig über den Inhalt aussagt: Ab wann ist man denn links und wo hört die Grenze auf? Lieber bevorzugen wird die Einteilung zwischen emanzipatorisch und reaktionär, denn auch Linke können ekelhafte Antisemit:innen, Rassist:innen, Sexist:innen, Queerfeinde etc. sein. Doch wenn wir von dem Querfront Begriff ausgehen würden, müssen wir zumindest in Deutschland feststellen (in anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Griechenland trifft es in Teilen zu), dass dieser nicht haltbar ist. Von einer Querfront kann man insoweit nicht sprechen, weil keine oder kaum eine organisierte linksradikale Gruppe oder Organisation, dazu aufruft, sich an den verschwörungsideologischen Protesten zu beteiligen, auch wenn es in der Vergangenheit Versuche gab, über Strukturen wie die „Freie Linke“ dem entgegenzuwirken, indem sie sich als „wahre Antifaschist:innen“ darstellten. Eher findet man bürgerlich-liberale Einzelpersonen und Gruppen, die an den Demonstrationen teilnahmen.

Das gemeinsame Bindeglied dieser scheinbar unterschiedlichen Individuen von Esoteriker:innen, Hippies, Neoliberalen und Nazis ist der Antisemitismus, gepaart mit einem regressiven, meist völkischen Antikapitalismus, und auf der anderen Seite Kapitalismus-Verherrlichung, die einhergeht mit Nationalismus und Sozialdarwinismus.

Rechte Gruppen und Organisationen nutzen die Mobilisierungen strategisch für sich. Besonders Ende 2021 und Anfang 2022 versucht die extreme Rechte die Proteste anzuführen und nach ihrem Verständnis zu radikalisieren. Die Demonstrationen werden gewalttätiger und Angriffe gegenüber Antifaschist:innen, migrantisierten Personen, (vermeintlich) jüdischen Menschen, Pressevertreter:innen und Vertreter:innen des Staates nehmen zu. Hinter dem Ruf nach „Frieden“ verbirgt sich der Tod. Aufrufe nach Lynchjustiz sind keine Seltenheit mehr, sondern fester Bestandteil der Proteste. Die wöchentlichen Demonstrationen bieten den Nazis auch die Möglichkeit, praktische Erfahrungen des gewalttätigen Aufstands zu sammeln. Diese Bestrebungen werden über Grenzen hinweg aufgegriffen und gefeiert. Transparente wie „Wir sind die Rote Linie“ und „An uns bricht eure Nadel“, die vom Ableger der Identitären Bewegung aus Österreich stammen, werden in vielen Städten kopiert und getragen. Bei jedem gewalttätigen Aufmarsch, sei es in Sachsen, in Wien oder in Belgien, frohlockt die verschwörungsidelogische Szene und träumt vom Umsturz und von ihrer Machtergreifung. Organisierte Nazis, die sich seit Jahrzehnten für einen „Tag X“ bewaffnen und trainieren, wittern nun ihre Chance, ihr Ziel offen artikulieren zu können auf den Demonstrationen Zustimmung zu finden.

Es wäre trotzdem falsch, alle Personen der verschwörungsideologischen Mobilisierung als Nazis zu bezeichnen. Denn das stimmt nicht und würde den Antisemitismus, der auch in anderen politischen Zusammenhängen und Ideologien besteht, verschleiern. Stattdessen müssen die örtlichen Strukturen als Ganzes betrachtet und benannt werden: Mobilisierbare Deutsche Antisemit:innen, die Nazis den Raum geben, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und Agitation zu betreiben. Und genau das macht diese Szene gefährlich.

Kein Frieden mit Antisemit:innen

Es scheint, als ob sowohl bürgerlichen Kräften und Sicherheitsbehörden als auch Linken und Linksradikalen, die Gefahr der antisemitischen Mobilisierung nicht bewusst zu sein scheint. Wahrscheinlich spielt hierbei auch der Selbstschutz vor dem Mob und der Pandemie, sowie das allgemeine Gefühl der Erschöpfung eine Rolle. Vielleicht führt auch eine verkürzte Analyse des Antisemitismus dazu.

Während bei Nazidemonstrationen und Organisationen ein Bewusstsein über die Gefährlichkeit dieser existiert, ist es für viele anscheinend schwer, eine angemessene Antwort und Strategie auf die verschwörungsideologischen Demonstrationen zu finden. Denn auch das Außenbild ist ein Anderes: Es sind vor allem Ü50-Jährige, Familien mit Kindern und esoterische Hippies mit Dreads, die trommelnd durch die Straßen laufen, während sie Außenstehenden wahlweise Morddrohungen oder Liebe & Frieden entgegen rufen. Es sind nicht vorwiegend die Stiefelnazis, die dort auftreten, sondern die „bürgerliche Mitte“. Das ist für Viele eine neue Situation, mit der man sich konfrontiert sieht.

Als Anfang bis Ende 2020 beständig und fast wöchentlich zu Protesten aufgerufen wurde, war die antifaschistische Mobilisierung vergleichsweise gering. Nach zwei Jahren wurde der Gegenprotest größer, doch war schlussendlich auch für die Verhältnisse in Marburg geringer als man erwartet oder erhofft hätte. Auch wenn wir der Meinung sind, dass es falsch wäre, die Verschwörungsideolog:innen allesamt als Nazis zu bezeichnen, sind wir der Überzeugung, dass eine vielfältige antifaschistische Praxis, wie beim Vorgehen gegen Nazis angebracht wäre. Das bedeutet sowohl mit bürgerlichen Kräften größere mobilisierungsfähige Aktionsbündnisse zu schmieden als auch Blockaden zu organisieren, Aufklärungs-, und Recherchearbeit zu leisten und ihnen dadurch das Leben schwer zu machen. Denn wir als Antifaschist:innen müssen uns nicht nur mit Nazis auseinandersetzen, sondern mit allen Ideologien und ihren Vertreter:innen, die versuchen ihre menschenverachtenden Bilder zu verbreiten und in die Tat umzusetzen. Solange diese reaktionären Kräfte sich die Straßen nehmen, werden sie sich sicherer fühlen und weiter radikalisieren. Es wäre zudem falsch zu denken, dass mit der Beendigung der Pandemie diese Form der Organisierung ein Ende haben wird. Vielmehr wird der radikale und organisierte Flügel in Form von Parteien, Medien oder Strukturen bestehen bleiben. Eventuell werden einige von ihnen sich gänzlich in Naziorganisationen eingliedern.

Genau deswegen sagen wir: Mit Antisemit:innen wird nicht diskutiert, sie werden blockiert.

Kein Frieden mit Antisemit:innen!

Kein Frieden mit Nazis!

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Links zu weiterführenden Texten:

– Broschüre „Mobilisierbare Deutsche“ der Gruppe Eklat Münster:

https://eklatmuenster.blackblogs.org/2020/03/22/broschuere-mobilisierbare-deutsche/

– Text im sozialrevolutionären Magazin Communaut: Das Leugnen der Realität und die Realität des Leugnens

https://communaut.org/de/das-leugnen-der-realitaet-und-die-realitaet-des-leugnens

– Text der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“: Gates Noch?! Das System ist Gemein, aber nicht Geheim!

https://www.nationalismusistkeinealternative.net/nika-info-gegen-verschwoerungstheorien/

– Texte, Analysen und Recherchen der Initiative „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“: https://asvi.noblogs.org/

– Antifa-Gruppe „Dissens“ aus Erfurt: Antisemitismus und NS-Bezug bei Corona-Leugner:innen

https://dissens.noblogs.org/post/2021/01/16/teil-1-antisemitismus-und-ns-bezug-bei-corona-leugnerinnen/

PDF zum Download: Immernochkfa Teil 1 Analyse & Kritik